Tolle Blickwinkel und schmerzende Füße

Ich wache auf und schaue auf die digital leuchtenden Zahlen des Hotelweckers: 7:22 Uhr. Ich hatte den Wecker meines Mobiltelefons doch gestellt, oder? Zwar hatte ich die Ortszeit nicht umgestellt, aber ich hatte doch die Weckzeit umgerechnet: Wenn wir um 7:30 Uhr beim Frühstück sein müssen, sollte der Weckton um 6:30 Uhr erklingen, 6:30 Uhr plus 6 Stunden ergibt halb eins. Also habe ich folgerichtig eingegeben 13:30 Uhr - ja, klar, jetzt weiß ich es auch: 12:30 Uhr wäre richtig gewesen - aber nach einem so langen Tag wie gestern lässt die Leistung des Gehirns parallel zum Rest des Körpers einfach nach.
Dann also etwas später aus dem Bett und ab zum Frühstück. Um etwa 10 Minuten nach acht Uhr kamen wir zum Frühstücksbereich. Iris hatte gestern extra für uns 16 Personen einen Tisch reservieren lassen und als die junge Dame kam, die uns einen Platz anweisen wollte, wies ich sie auf unsere Reisegruppe hin. Sie sagte, es täte ihr leid, aber das mit der Reservierung sei nichts geworden, setzte uns dann aber entgegen ihres ersten Versuchs zumindest in Sichtweite unserer Gruppe.
Nach dem Frühstück mussten wir uns beeilen, um rechtzeitig um 9 Uhr am Treffpunkt, zu sein. Dieser war die Rezeption des Hotels und nach kurzer Zeit ging es zum Path Train und rüber nach Manhattan zum World Trade Center. Von der Bahnstation aus ging es zum World Financial Center. Hier trafen wir unsere Reiseleiterin für den heutigen Tag. Karin Bratone, eine seit etwa dreißig Jahren in New York lebende Österreicherin, sollte uns New York ein wenig näher bringen.
DSC_0075Wir gingen zunächst in eine große Halle, die zwischen den Gebäuden des Financial Centers errichtet wurde – wieder neu errichtet wurde, nachdem auch dieser Platz beim Einsturz der Zwillingstürme zerstört worden war. Von hier aus hatte man einen Blick auf die Baustelle World Trade Center und sie erzählte, wie sie damals, nachdem die Flugzeuge in die Zwillingstürme geflogen waren, Panik bekam, da man wusste, dass weitere, entführte Maschinen unterwegs waren. Die vermutete Gefahr, dass eines dieser Flugzeuge das Kernkraftwerk am Hudson zerstören konnte, stürzte sie und ihren Mann in große Angst. Sie überlegten, ihre Kinder aus der Schule zu holen, um wenigstens gemeinsam sterben zu können.
Doch dann wurde sie von ihrer Nachbarin abgelenkt. Diese stand vor ihrem Haus und berichtete weinend, dass sie gerade mit ihrem Mann telefoniert hatte, der im World Trade Center arbeitete, als plötzlich die Leitung unterbrochen wurde. Nachdem viele Versuche, ihren Mann wieder telefonisch zu erreichen, fehl schlugen, ging die Nachbarin unseres Tour Guides davon aus, ihr Mann sei tot, sei beim Einsturz der Türme ums Leben gekommen wie so viele andere. Bis zum Abend gab es kein Lebenszeichen von ihrem Mann, dem Vater ihrer zwei Kinder.
Am nächsten Morgen verlässt unsere Tourführerin das Haus und sieht zu ihrer großen Überraschung und Freude ihren Nachbarn, lebend, frisch gewaschen und im sauberen Anzug das Haus verlassen. Auf Nachfrage erzählt er, dass er sich zum Zeitpunkt des Einsturzes nicht im Gebäude befunden habe. Das Telefonnetz war jedoch zusammengebrochen und die Subways verkehrten nicht mehr. Taxen waren auch nicht zu bekommen und so ging er siebzehn Stunden lang vom World Trade Center zum nördlich von New York, etwa 18 km außerhalb liegenden Wohnort zu Fuß. Gegen drei Uhr nachts kam er völlig dreckig, Körper und Kleidung voller Staub, zuhause an.
Und jetzt um 9 Uhr wieder frisch geduscht und einen sauberen Anzug an, was sollte das? Er hatte sich mit einigen Kollegen zusammen telefoniert, ein Behelfsbüro wurde eingerichtet, denn die Arbeit musste ja weitergehen. Ich denke, dieser Tatendrang wurde durch den Schock ausgelöst, unter dem er immer noch gestanden haben muss. Es hätte wohl die gesamte Weltbevölkerung verstanden, dass jemand, der im World Trade Center gearbeitet hat, nicht am nächsten Tag seiner Arbeit nachgeht.
Dieser Vortrag war sehr ergreifend. Normalerweise macht unsere Führerin den Rundgang, den wir heute vor uns hatten, in umgekehrter Reihenfolge. So hätten wir diese Geschichte erst am Schluss gehört und damit einen emotionalen Höhepunkt am Ende der Tour gehabt. So etwas am Beginn der Tour lässt sich natürlich nicht mehr steigern.
New York Stock Exchange, Wall StreetDennoch war es alles recht interessant, was wir auf unserem Weg entlang des Wassers zum Battery Park und weiter durch die Wallstreet zu hören bekamen.
DSC_0112Mit der Subway fuhren wir dann nach Chinatown, wo der Gang durch ein Geschäft mit allen möglichen Lebensmitteln uns zeigte, wie vielfältig die chinesische Küche ist. Viel vielfältiger als unsere natürlich auch dadurch, dass die Chinesen Dinge essen, bei denen sich uns schon bei der Vorstellung davon der Magen umdreht.
Zu Fuß ging es weiter durch Little Italy nach Soho, dem „In“-Viertel, in dem sich viele Künstler niedergelassen haben.
DSC_0151Von hier ging es wieder mit der Subway nach Brooklyn, wo wir zu Mittag aßen, bevor es wieder zu Fuß über die Brooklyn Bridge zurück nach Manhattan ging. Große Teile der Brücke waren wegen Renovierungsarbeiten eingekleidet und somit einfach nicht so schön anzusehen, wie ohne diese Baustelle. Dennoch bot der Gang über die Brücke interessante Ansichten.
Diese wurden nur noch übertroffen von der Aussicht, die wir später vom Empire State Building aus genießen konnten. Hierher waren wir zunächst wieder mit der Subway gekommen. Allerdings in zwei Gruppen, da einige Damen, darunter meine Martina, noch einmal kurz austreten mussten. Dann rief Martina mich an und sagte, dass sie nur noch sechs Damen vor sich hätte, bevor sie die Toilette des Starbucks-Cafés benutzen könne. Kaffee treibt wirklich! Ich ging zu unserer Reiseleiterin Iris und teilte ihr dies mit und sagte, sie solle sich mit dem Rest der Gruppe in Bewegung setzen, da sie ja noch ihre Voucher für den Besuch des Empire State Buildings in Tickets umtauschen müsse. Ich würde dann mit den anderen drei Damen nachkommen.
Das tat ich dann auch und kurz darauf besuchten wir im Empire State Building zunächst den Skyride, einen Film, den man in sich bewegenden Kinosesseln erlebt und der einen Flug über und durch New York zeigt.
DSC_0182Dann ging es rauf auf die Plattform. Trotz eisigen Windes blieb ich recht lange auf der Aussichtsplattform um ein paar Fotos zu machen. Als ich wieder herein kam, zeigte unsere Reisegruppe Anzeichen, sich auflösen zu wollen. Manche hatten das Kaufhaus Macy’s im Visier, andere (darunter auch Martina und ich) wollten lieber noch irgendwo ein Bierchen trinken und eine Kleinigkeit essen.
In einer Seitenstraße des Brodway entdeckte Martina dann ein italienisches Restaurant und wir genossen das recht teure Abendessen. Bevor wir uns um ein Taxi kümmerten, besuchten wir noch einen Supermarkt, um uns mit Mineralwasser und anderen Dingen einzudecken.
Wir waren fünf Personen und obwohl kein Taxifahrer dies wusste, hielt keiner an. Alle vorbeifahrenden Taxen waren bereits belegt. Irgendwann hielt dann eine nicht als Taxi zu erkennende Limousine und der Fahrer zeigte sich bereit, uns alle zu unserem Hotel zu chauffieren. Nachdem er mir seine am Armaturenbrett angebrachte Lizenz für den lokalen Transport zeigte, war ich beruhigt. Allerdings passten wirklich keine vier Personen auf die Rücksitzbank und so sagte ich dem Fahrer wo es hinging und machte mich auf den Weg zur Subway. Sicher hätte Martina mich gerne begleitet, ich wollte aber nicht die Einkaufstüte schleppen und bat sie, doch mit dem Auto mitzufahren. Nachher war Martina etwas sauer, dass ich sie Gruppe mit diesem Wagen hatte fahren lassen. Der Fahrer, der einerseits den Weg nicht wirklich kannte und andererseits ständig am telefonieren war, wollte am Schluss 10 $ mehr haben, als er mir gesagt hatte, angeblich wegen der Taxes (Steuern).
Ich hingegen ging an der Ecke Broadway/42th in die Subway-Station, die sich als riesengroß herausstellte. Ich hatte das Gefühl bereits einige Kilometer unterirdisch gewandert zu sein, als ich den richtigen Bahnsteig erreichte. Hier wurde ich von einem Ehepaar angesprochen, dass mich um Hilfe bat, was die Auswahl der richtigen Subway-Linie anging. Sie nannten mir ihr Ziel und ich empfahl, den gleichen Zug zu nehmen, wie ich. Die Frage, warum ich mich denn so gut auskenne – ich hatte ihnen inzwischen erzählt, dass ich aus Deutschland sei –, beantwortete ich damit, dass ich ihnen mitteilte, bereits seit gestern in New York zu sein. Wir unterhielten uns noch ein wenig und ich erfuhr, dass sie in dem Hotel, in dem sie normalerweise wohnen, bisher immer etwa 340 $ für die Nacht bezahlt hätten, jetzt aber während der Vorweihnachtszeit würden 890 $ verlangt. Deshalb seien sie jetzt in einem anderen Hotel untergekommen. Ich hatte meinen Stadtplan noch einmal aus der Tasche geholt und wir entdeckten, dass es für die beiden doch ein wenig günstiger war, eine andere Linie zu nehmen, da diese nach den ersten gleichen Stationen die Richtung geringfügig änderte und die Station, an der sie aussteigen könnten, noch ein wenig günstiger zu ihrem Hotel lag. Unsere Züge kamen gleichzeitig an und wir wünschten uns noch eine gute Fahrt.
Als ich nach Hause kam, mussten erst einmal die Schuhe von den Füßen. Ich hatte von der vielen Lauferei doch ganz schöne Schmerzen bekommen. Das muss morgen besser werden. Mit meinen anderen Schuhen.

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